(2) Erstes Erwachen

Als er aufwachte, fiel sein Blick auf vier Müllcontainer, um die herum und auf denen unzählige Tüten aufgetürmt waren. Zahlreiche Ratten liefen darauf herum, durchwühlten mit ihren winzigen Pfötchen Papier, Dosen, Plastik und jede Menge verschimmelte Lebensmittel, deren Abholung schon einige Tage überfällig war. Emsig schnupperten die kleinen Näschen hier und dort und konnten sich nicht so recht entscheiden, welchen der vielen Leckerbissen sie nehmen sollten. Die Ratten fauchten sich an und schnappten nacheinander. Noch bevor die Ratte es überhaupt registriert hatte, befand sich eine von ihnen in seiner rechten Hand, als sie auf seine Brust sprang.
Vor seinem rechten Auge sah er eine Ziffernfolge rot aufleuchten. 19.23.7135413. Er konnte sich an gar nichts erinnern. Weder,wie er in diesen stinkenden Müllhaufen geraten war, noch wo er herkam, geschweige denn, daß ihm auch nur ein Detail seiner kompletten Vergangenheit einfiel. Er hatte ein Loch im Kopf, das mit nichts gefüllt war außer dem, was er gerade dachte.
"Interessant", dachte er laut. "Ich erinnere mich an nichts, aber ich erinnere mich daran, daß es ein Gedächtnis gibt."
Er setzt sich auf und hielt die sich windende Ratte ganz nah vor sein Gesicht. Es war ihr kaum möglich, den Kopf zu bewegen, so eng umschlungen hielt die große Hand den kleinen Körper. "Weißt du, daß ich dich einfach so zerquetschen könnte", grinste er den Nager freundlich an. "Ich könnte dir auch den Kopf abbeißen. Mein Name ist Flash Light, und das bedeutet, daß..."
Er sprang auf und ließ die Ratte einfach fallen. "Das bedeutet, daß ich mich an meinen Namen erinnere." Er griff sich an die Stirn und stöhnte auf, weil ihn ein Schmerz durchfuhr, der ihm sagte, daß sich an seiner Stirn eine Wunde befand, von der er bisher auch nichts gewußt hatte. Seine Finger tasteten vorsichtig. Eine dicke Kruste deutete darauf hin, daß er sich vor nicht allzu langer Zeit eine Kopfverletzung zugezogen haben mußte.
"Scheiße!" fluchte er und stand langsam auf. Er klopfte sich Schmutz von der Jeans ab, den er nicht sehen konnte. "Restlichtverstärker", murmelte er. Im selben Moment wurde es um seinen Oberschenkel, den er betrachtete, sichtlich heller. "Interessant."
Während er wie leicht betrunken zur Gasse hinaus Richtung Straße schwankte, griff er in sämtliche Taschen seiner Jacke, die er trug. Er fand nichts außer zwei Cornyriegeln. "Soyfraß", raunte er und blinzelte, weil das Licht der Straßenlaterne ihn blendete. Er wendete sich nach rechts und ging auf ein Schaufenster zu.
"Damenreizwäsche", las er die großen Lettern, von denen die grüne Farbe bereits abblätterte, so alt schienen sie zu sein. Flash mußte sich etwas herunterbeugen, um sich im Glas der Fensterscheibe vor einem schwarzen Hüfthalter spiegeln zu können. Er erkannte die Wunde an der Stirn nur als schwarzen Strich. Aber er sah, daß sie sich von der Schläfe über die Stirn bis zur Augenbraue zog. Sie schien ziemlich frisch genäht zu sein.
Plötzlich fiel ihm ein, daß er vielleicht eine Tasche oder etwas ähnliches bei sich gehabt haben könnte. Deshalb ging er noch einmal zurück zu den Mülltonnen. Er begann vorsichtig, in dem Müllhaufen vor den Tonnen herumzusuchen, ob er etwas fand. Er nahm das Geräusch des Abzugs noch vor dem Schuß wahr. Das rettete ihm das Leben, weil er sich zwischen Abzug und Schuß geduckt hatte, wodurch Buzz, den die abgeschossene Kugel eigentlich hätte treffen sollen, die jetzt aber über ihn hinwegzischte und ein anderes Ziel fand, stolperte. Andersherum gesagt - Buzz stolperte über Flash, weil der eine nicht im Dunkeln mit dem anderen gerechnet hatte. Buzz wußte nicht, daß Flash ihm das Leben gerettet hatte. Er wußte nicht, daß Flash zufällig einer von den fünf lebenden Menschen war, die über die Fähigkeit verfügten, in Gefahr so schnell ragieren zu können, wie es eben vom Klicken des Abzugs bis zum Knall des Schusses dauert.
Flash stand schneller wieder auf als Buzz. Eine Kugel pfiff gefährlich nah an seinem Kopf vorbei. Er griff nach dem am Boden liegenden Mann und zerrte ihn hoch. Der rannte sofort los und Flash hinterher. Er dachte nicht darüber nach, was er tat. Er dachte, daß Buzz wissen mußte, wo sie sich befanden und wohin er wollte, weil er sich so zielstrebig durch die Gassen und Hinterhöfe des Viertels bewegte.
Irgendwann stieß Buzz eine Tür auf und schob ihn eine Treppe hinunter. Flash stolperte und landete unsanft auf dem Steinboden davor. Es war dunkel. Sie atmeten nicht. Draußen waren Schritte zu hören. Er spürte eine Hand, die ihn mit sich zog. Langsam tasteten sie sich einen Weg durch die Dunkelheit. Es roch nach Schimmel und Feuchtigkeit, die man in uralten Kellern findet, deren Wände Jahrzehnte lang nicht geweißt worden waren.
"Lichtverstärker", flüsterte Flash und sah im Dunkeln am Boden eine Spinne vorbeihuschen.
"Was?" kam es von Buzz.
"Ich habe Lichtverstärker", antwortete er.
"Sowas brauch ich hier nich", meinte Buzz. Der Gang is mein üblicher Nachhauseweg."
"Bist du immer auf der Flucht, wenn du nach Hause gehst?" fragte Flash und blieb stehen. Er griff sich mit der linken Hand an den Kopf und stöhnte laut. Das Hämmern hinter seiner Stirn war so heftig, daß ihm schlecht wurde und er würgen mußte.
"Hast du was abgekriegt?" fragte Buzz nervös.
"Nein, nur höllische Kopfschmerzen." Flash war schwindelig.
Buzz öffnete eine Tür, die rechts von ihnen aus dem Nichts aufgetaucht war. Sie betraten ein Treppenhaus, dem man ansah, daß es vor langer Zeit seine besten Zeiten erlebt hatte. Buzz führte ihn in eine Wohnung im Erdgeschoß. Flash nahm noch wahr, daß Buzz knallrote Dreads hatte, die ihm bis zur Hüfte gingen. Dann kippte er einfach um.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hallo.
Ich mochte mit Ihrer Website leopinkerton.blogspot.com Links tauschen