(9) Bei Byron

Leo fand sich pünktlich um 11 Uhr bei Byron ein. Sie kannte den Billard-Salon seit ihrer Jugend, als sie mit dieser Art Sport neben dem KungFu begann. Hinter der Theke stand Maxwell Blyden, dem der Laden allein gehörte, seit sein Partner Byron von einem Straßensamurei versehentlich für einen anderen gehalten worden war. Der Straßensamurei war kurze Zeit später ein toter Straßensamurei. Man ging weiterhin zu Byron, weil Byron derjenige gewesen war, der den Laden zuerst hatte und niemand sagen wollte, daß er zu Max gehe, weil jeder das Gefühl hatte, dadurch Byrons Tod eine Endgültigkeit zu verleihen, die einfach nicht wünschenswert war. Max nahm es niemandem übel, daß man weiterhin zu Byron ging.
Der Wirt spülte Gläser und lächelte, als Leo den großen Raum mit der langen Theke betrat. "Hi, Leo, wie geht es dir?" fragte er fröhlich.
"Frag mich nicht, Max. Ich müßte lügen. Ist Rain schon da?"
Er nickte in Richtung der Tür rechts neben der Theke. "Er und Jamie. Was soll ich dir bringen?"
"Kaffee." Sie zog den Reißverschluß ihres leichten Ledermantels auf.
"Ok, Kaffee, 3 Stück Zucker, schwarz, eine Messerspitze Kakao, 1 Priese Salz. Kommt sofort."
Max sah an Leos linker Hüfte die Schwertscheide. "Noch nicht viel los hier", sagte sie und drückte die Klinke der Tür nach unten.
"Noch zu früh", erwiderte Max.
Leo öffnete die Tür und verschwand in dem Raum dahinter. Sie begrüßte Rain und Jamie und setzte sich in einen braunen Ledersessel, der sich mit einem zweiten Sessel und einem passenden Sofa einen winzigen Tisch teilte.
"Wer kommt noch?" fragte sie.
"Pris", antwortete Jamie, ohne Leo anzusehen.
"Wie geht es dir, Leo?" fragte Rain und nahm einen Schluck aus einem Glas. "Etwas müde siehst du aus. Wir haben uns lange nicht gesehen." Er lächelte süffisant.
Leo lächelte zurück. Von Rain kam die Frage nach dem Befinden anderer eher selten. Er interessierte sich nicht sonderlich für die Belange anderer. Rain war jemand, der tötete, ohne mit der Wimper zu zucken. Damit verdiente er sich seinen Lebensunterhalt wie andere dies durch Büroarbeit taten oder wie Leo mit ihren Uhrenreparaturen. Sie hatte viel von Rain gelernt, im letzten Jahr. Vor allem hatte sie gelernt, daß es im Job des Runners nur ums Überleben ging. Der größte Fehler, den man begehen konnte, war, zuviel darüber nachzudenken, was man tat. In bestimmten Situationen zu zögern, war in jedem Fall tödlich. Leo mochte Rain, obgleich er als Kopfgeldjäger einem Geschäft nachging, das sie nicht nachvollziehen konnte. Aber Rain war aufrichtig und ehrlich, und sie konnte sich darauf verlassen, daß er da sein würde, wenn sie ihn brauchte.
Das liebte sie an diesen Menschen, mit denen sie hin und wieder auf einen kleinen Run ging. Es waren die einzigen, denen sie neben Cheng Pei Pei blind vertraute. Das Vertrauen, das man einem anderen gegenüber schenken mußte, wenn man selbst plötzlich erblindete.
Pris betrat den Raum. Ihr folgte ein Mann in einem schwarzen Anzug, der ihr die Tür aufgehalten hatte, die er auch weiterhin aufhielt, als Max mit einem Tablett voller Gläser und Flaschen hereinkam. Der dicke Wirt stellte das Tablett auf dem winzigen Tisch ab, so daß dieses die gesamte Tischplatte einnahm. Wortlos verließ Max den Raum. Der schwarze Anzug schloß die Tür hinter ihm.
"Meine Damen, meine Herren, mein Name ist Johnson:" Er grinste ironisch.
Rain nickte nur. Leo sagte: "Hi." Jamie sah ihn aus finsteren Augen an und Pris bediente sich mit einer Flasche Burbon.
Mr. Johnson steckte einen Umschlag zwischen die Gläser. "Es handelt sich um ein kleines Büro in einem hohen Gebäudekomplex in der Kensingtonstreet. Gehen Sie in dieses Gebäude, suchen Sie ein bestimmtes Büro auf und nehmen sie aus dem Safe ein schwarzes Metallkästchen. Was sich darin befindet, hat sie nicht zu interessieren. sie sollten es also tunlichst vermeiden, das Kästchen zu öffnen. Falls sie es doch tun, wird dies der letzte Auftrag in ihrem Leben sein. Wenn Sie im Besitz des Kästchens sind, melden Sie sich unter der Nummer, die sich im Umschlag befindet. Wünsche noch einen guten Tag, die Damen und die Herren." Johnson drehte sich mit um und verließ den Raum.
Die Gruppe sah ihm schweigend nach. Es dauerte einige Sekunden, bis Rain die Stille brach. "Hat er nicht irgendwas vergessen?"
"Unsere Kohle?" kam es von Jamie.
Leo und Pris sahen sich an und begannen beide zu lachen. "Was war denn das für'n Typ?" rief Pris.
"Vielleicht ein ganz schlauer", antwortete Leo, beugte sich vor und nahm den Umschlag. Sie öffnete ihn und zog zwei Blätter daraus hervor. "Eine Straßenskizze der Kensingtonstreet, Delta-Graphics Corporation, 17. Stock", las sie vor. "Hier ist ein zweiter Zettel. Ah, ja, da kommen wir dem ganzen schon näher. Hier steht: Mit Leichen 20.000 Nuyen, ohne Leichen 40.000. Leo begann zu lachen. Die anderen fielen in das Lachen ein.
"Also, ich fühle mich ziemlich verarscht", bemerkte Jamie.
"Wieso?" fragte Rain. "Entweder wir machen den Job und kassieren 20 oder 40, oder wir lassen es, dann haben wir nichts. Pris?"
Die Gängerin zuckte mit den Schultern. "Warum nicht. Klingt nach leicht verdientem Geld."
"Also ich finde, daß er nicht wie jemand wirkte, der gerne gefährliche Leute verärgert, sondern wie einer, dem es ziemlich ernst ist." Leo hielt Rain die Zettel hin. Ich finde, wir sollten diesen Job machen und versuchen, die 20 auf jeden Fall zu verdoppeln." Sie lächelte Rain süffisant an und fragte ganz ruhig: "Hab ich dir schon mal gesagt, Rain, daß ich dich mag?"
Er wußte, daß sie darauf anspielte, wie schnell sein Finger manchmal eine schnellere Entscheidung treffen konnte als sein Kopf.

1 Kommentar:

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